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12 Februar

01.02.12  

Heute bin ich eine Hexe. Ich mache ein Feuer und verbrenne das Papier, das sich im letzten Monat bei mir angesammelt hat. Auch die "Zeit" der letzten Woche!

Auf dem Foto oben Papier und auf dem Foto unten: keine Knochen, nur altes abgelagertes Gestrüpp aus meinem Garten.

Jetzt hat es draußen Minus 10 Grad. Und es soll zum Wochende doppelt so kalt werden. Ich würde sagen, perfektes Berlinale-Wetter.
Ich frage mich, ob Dieter Kosslick mir ein Killerkommando auf den Hals schicken würde: wenn er wüsste, dass ich Wolf Donner (der ab 1977 Berlinale-Chef war) überredet hatte, die Berlinale vom Sommer in den Februar zu legen. Ich denke nicht. Auch zum Morden braucht ein Mörder Mut.
Das Tief , das die sibirische Kälte nach Deutschland bringt, heißt übrigens "Dieter".

Ich kontrolliere die englischen Untertitel von "INS BLAUE". Ich merke, dass ich alle meine Schauspieler richtig liebe.
Auf CARGO und "Der Standard" erscheint die erste Kritik zu "INS BLAUE" von Ekkehard Knörer (LINK).

02.02.12   Das kommt davon, wenn man anderen Böses wünscht. Jetzt hat's mich selbst erwischt. Die Wasserleitung in meinem Badezimmer (dasjenige in dem schon Pink gebadet und sich die Zähne geputzt hat) ist eingefroren. Die Wand wurde vor ein paar Jahren neu isoliert, weil mein Marder sich da durchgefressen hatte. Das hat er jetzt wieder gemacht. Heute heize ich den Raum zusätzlich mit einem Heizlüfter. Die Außentemperatur am Morgen war minus sechzehn Grad.



Zwei Techniker installieren bei mir jetzt einen Glasfaseranschluss mit DSL 16000. Wenn ich aus Kairo zurückkomme, werden bei mir auf dem Bauernhof auch Telefon und Fax über Glasfaser funktionieren. Hoffentlich.
03.02.12   Mit zwei Heizlüftern bekämpfe ich jetzt das Eis in meinem Wasserrohr. Mein Badezimmer wird zur Sauna. Draußen im Garten mähe ich die Binsen, die aus dem Eis herausragen. Aber auf das Eis selbst traue ich mich nicht. Einmal im Gartenteich stecken bleiben, wir vor 2 Jahren, reicht mir. Obwohl ich jetzt wieder laut "Hilfe" schreien könnte.

Auf Filmstarts.de (LINK) entdecke ich eine wunderbare Empfehlung für die TV-Ausstrahlung von "DAS ROTE ZIMMER am kommenden Mittwoch. Da heißt es: "Wie in jedem seiner Werke versteht es der geniale Autorenfilmer Rudolf Thome (der für „Paradiso - Sieben Tage mit Sieben Frauen“ den Silbernen Bären erhielt) mit seinem sachlichen, aber dennoch traumhaft schönen Inszenierungsstil, die Geschichte schwerelos und ohne das Getöse von Hollywood-Hochglanzproduktionen zu erzählen."
05.02.12  
In meinem Badezimmer gelingt es mir, das Wasserohr am Wiedereinfrieren zu hindern. Das ist ein teurer Spaß. In meinem Arbeitszimmer brenne ich den ganzen Morgen DVD's von "INS BLAUE". Am Nachmittag wagen sich die ersten Nachbarkinder mit Schlittschuhen auf das Eis des Dorfteichs.

Nach dem Schlittschuhfahren auf dem Dorfteich heute morgen sind mir beim Frühstück meine Zähne zerbrochen und ich musste sofort zurück nach Berlin.
Auf Spiegel-Online finde ich hier den Liebesbrief einer Kolumnistin an Klaus Lemke (LINK), dessen Berlin-Film "Berlin für Helden" auch von Dieter Kosslick abgelehnt wurde.
06.02.12   Im Filmblog "Eskalierende Träume" erscheint eine Kritik zu "PINK" (LINK). Außerdem kommt die englisch untertitelte 35mm-Filmkopie aus Holland.
07.02.12  

Auf "Blickpunkt-Film" lese ich, dass Alfred Schantz am 1. Februar gestorben ist. Er hat als Verleiher bei Prokino "BESCHREIBUNG EINER INSEL" und "BERLIN CHAMISSOPLATZ" ins Kino gebracht, bei Concorde "SYSTEM OHNE SCHATTEN" und bei NEF "DAS MIKROSKOP", "DER PHILOSOPH" und "SIEBEN FRAUEN". Er hat die Plakate zu diesen Filmen gemacht und mir beigebracht, wie man Spaghetti al Pesto macht. Spaghetti konnte ich kochen, aber von Pesto hatte ich damals, 1982, noch nie was gehört.
Mein Gefühl heute, der Tod rückt immer näher. -
Meine Zähne sind wieder in Ordung, mein zehn Jahre altes Auto hat wieder einen neuen TÜV und Henning Vogt (der in "INS BLAUE" den Mönch und den stummen Fischer spielt) kriegt eine DVD des Films und ich berichte ihm beim Mittagessen von all den Schwierigkeiten, die ich im Moment mit der Degeto habe. Er ist fest davon überzeugt, dass diesem Film noch großartige Ereignisse bevorstehen.
Beim Warten im Zahnarztwartezimmer denke ich über meine Vergangenheit und meine Zukunft als Filmregisseur nach. Ich habe bisher viermal einen "Neustart" (das Wort hat leider durch die FDP einen schalen Beigeschmack bekommen) gemacht. Zuerst mit "MADE IN GERMANY UND USA", dann mit "BERLIN CHAMISSOPLATZ", dann mit "DAS MIKROSKOP" und zuletzt mit "PINK". Jetzt muss ein fünfter dazu kommen. Ob ich will oder nicht. Wenn ich daran denke, dass ich im Mai ein neues Drehbuch schreiben will, wird mir Angst und Bange. Hoffentlich wird im Mai wenigstens das Wetter schön. Das allein könnte schon ein bisschen helfen. Einem Degeto-Mitarbeiter habe ich gestern gesagt, wenn ich nicht bald die letzte Finanzierungsrate kriege, bringe ich mich um. Er hat gesagt: Das ist auch keine Lösung.

08.02.12   Heute Nacht, kurz nach Mitternacht, um 0.20 Uhr zeigt die ARD meinen vorletzten Film "DAS ROTE ZIMMER".
09.02.12   Wer "DAS ROTE ZIMMER" gestern verpasst hat und nicht wie ich eine schlaflose Nacht hatte, kann sich den Film in der ARD-Mediathek anschauen (LINK). Wer dem Link folgt, muss tagsüber lesen: "Diese Sendung ist für Jugendliche nicht geeignet. Das Video ist deshalb nur von 20:00 Uhr bis 6:00 Uhr verfügbar."
Man kann da übrigens auch eine Wertung des Films abgeben.
Eine Moana-Tagebuchleserin aus Köln mailt mir eine Kurzkritik des Kölner Stadtanzeigers von Michael Köhler::
"Es gibt nicht wenige Cinephile, die vor jedem neuen Film Rudolf Thomes ergriffen in die Knie gehen. Das liegt an seinem eigensinnigen, immer etwas künstlichen und doch einschmeichelnden Stil und auch an Handlungsideen wie dieser: Ein Wissenschaftler erforscht in langen Studienreihen, was beim Küssen mit den Küssenden geschieht, und wurde, da frisch geschieden, selbst schon etwas länger nicht mehr geküsst. Das ändert sich, als er zum Studienobjekt zweier Frauen wird. Derlei denkt sich sonst allenfalls Woody Allen aus, der seine romantischen Fantasien ähnlich unerschrocken auf den Bildschirm bringt. In der richtigen Stimmung ist Thome übrigens ähnlich amüsant."
400.000 Zuschauer haben gestern Nacht "DAS ROTE ZIMMER" gesehen. So viele hatte ich in den letzten 20 Jahren nicht mehr. Bei der "Formen der Liebe"-Trilogie hatte jeder einzelne Film bis zu 6 Millionen, aber das ist lange her und da liefen meine Filme um 23.00 Uhr, nicht nach Mitternacht.
10.02.12   Auch aus Kairo kriege ich heute morgen schlechte Nachrichten. Die Militärregierung lässt immer mehr Mauern bauen.

11.02.12  


Gestern Abend im Museum für Kommunikation der Empfang der ARD/Degeto. Ich wollte mit zwei Mitarbeitern der Degeto sprechen. Am Anfang waren sie nicht da, dann kamen immer mehr Gäste und ich habe meine Suche aufgegeben. Der Rotwein, den es da gab, war ziemlich gut. Ich treffe Elke Haltaufderheide und Niklaus Schilling, mit denen ich vor 44 Jahren "DETEKTIVE" gemacht habe. Ich erzähle Elke Haltaufderheide, dass Klaus Lemke gestern bei der Berlinale-Eröffnung seinen nackten Popo zur Schau gestellt hat. Sie erzählt mir, dass er keine Haare mehr auf dem Kopf hat. Außerdem ärgert sie sich, dass Klaus Lemke immer wieder erzählt, er habe Iris Berben entdeckt.

Ich nehme die Welt zur Zeit immer stärker als zerfallend wahr. Das mag an meinem momentanen Konflikt mit der Degeto liegen oder am zunehmenden Alter. Ich ärgere mich jede Woche über die Post. Es gibt immer weniger Postämter und in den übriggebliebenen lange Schlangen, während im Hintergrund zahlreiche Postangestellte mit anderen Dingen beschäftigt sind. Die beiden geschlachteten Briefkästen sind ein Symbol für diesen Zustand.
13.02.12  

Heute ist der Dreizehnte. Ich bekomme jede Menge unangenehme Geldforderungs-Emails. Während ich mit einem Mitarbeiter der Degeto spreche, wird das gedruckte Plakat von der Druckerei geliefert. Zunächst habe ich nur mal eine Mini-Auflage drucken lassen, um Kosten zu sparen. Dann hänge ich es bei mir, um mich zu beruhigen erstmal auf, um zu sehen, wie es aus der Ferne wirkt. Nah und in voller Schönheit kann man es hier sehen (LINK).

Meine Grafikerin schreibt mir, dass für den Kinostart vielleicht noch ein paar Palmwedel aufs Plakat kommen könnten. Es wäre einfach zu schön!

14.02.12   Heute Nacht strahlt 3SAT nach einer langen Nacht mit "Berliner Schule"-Filmen mein "VENUS IM NETZ" (Venus Talking) um 2:45 Uhr aus.
Zum Valentinstag ein Videointerview mit Vadim Glowna. Ob er das auch sehen kann?

Zum Schluss für heute - ein Link zur der den Film ungewöhnlich gut beschreibenden, sehr präzisen Kritik von Ekkehard Knörer. ( LINK). Für Vadim Glowna (falls er das jetzt noch lesen kann)!
15.02.12   Vor einer Woche habe ich noch ein Interview zu Werner Herzog gegeben und wurde gefragt, wie ich ihn kennengelernt habe. Ich sagte, zuerst 1965 über das DIF, die Vorgängerinstitution der Münchner Filmhochschule (HFF). Für meinen ersten Kurzfilm "DIE VERSÖHNUNG" habe ich mir da anfangs Kamera und Licht ausgeliehen und sowohl Werner Herzog wie ich waren da als Studenten eingeschrieben. Derjenige, der mir die Geräte übergab, war Wolfgang Längsfeld. Heute lese ich auf Blickpunkt-Film, dass Wolfgang Längsfeld am Montag gestorben ist.
Keine gute Zeit für über Siebzigjährige. Da ich bald nach Kairo fliege, habe ich vorsichtshalber gleich ein neues Testament geschrieben und mit meinem Notar vereinbart, wenn ich zurückkomme, im April ein richtiges notarielles Testament zu machen.
Dann ruft mich die Mieterin auf meinem Bauernhof an und sagt, dass ihr Abwasserrohr eingefroren ist. Ich informiere die Installationsfirma, die alle Wasserleitungen installiert hat, damit sie das Rohr wieder auftaut.
Die Degeto ruft mich an und sagt, dass ich mich bis zur Klärung, wann die letzten Rate für "INS BLAUE" überwiesen wird, noch bis Montagnachmittag gedulden muss. Wir waren vor einer Woche schon mal viel weiter. Ich schreie in mich hinein: Herr Jurgan, Hilfe!
Ich wollte heute noch ein paar Dinge mit dem Auto erledigen, traue mich aber nicht, denn schon auf dem kurzen Weg zum Brötchen- und Zeitungkaufen war es spiegelglatt.
Wenn ich ein ängstlicher Mensch wäre, würde ich meinen Kairo-Flug stornieren. Aber das bin ich wirklich nicht. Allerdings gibt so Tage, da kumulieren sich eben schlechte Nachrichten, dann bleibe ich lieber im Bett. Nur wenn ich Filme mache, habe ich die Kraft, alle Widrigkeiten, die sich mir entgegen stellen, zu überwinden. Denn dann steht ein ganzes Filmteam hinter mir und vervielfacht meine eigenen Kräfte. Damit das möglich ist, suche ich mir bei jedem Film jeden einzelnen Mitarbeiter sorgfältig aus. Die Tatsache, dass jetzt ein Mitarbeiter inzwischen per Rechtsanwalt versucht, mehr Geld zu kriegen als per Vertrag vereinbart war, verletzt mich - so wie ein Messerstich in den Rücken. Auch damit habe ich heute zu kämpfen. Mein Bruder, der Rechtsanwalt war, berät mich und diktiert mir einen Antwortbrief in schönstem Rechtsanwaltsdeutsch, denn einen eigenen Rechtsanwalt damit zu beauftragen, sagt er mir, würde ca. tausend Euro kosten. Und das bei dreitausend Euro Streitwert. Ich kann es nicht glauben. Er antwortet, Rechtsanwälte sind teuer. Ich sage, Du hast den richtigen Beruf gewählt. Er wäre allerdings lieber Astrologe geworden, und erzählt mir, dass der Neptun jetzt irgendwo extrem günstig zu irgendwelchen Sternen in meinem Geburtshoroskop stehe. Da seien wundersame Ereignisse möglich. Ich frage sofort, wie lange geht das. Er antwortet, der Neptun bewegt sich ganz langsam, das dauert viele Jahre. Ich kann mir im Moment nur 2 Wunder vorstellen:
1) Cannes will "INS BLAUE" zeigen
2) "INS BLAUE" wird als Sleeper mit anfangs fünf Kopien ein Kinoerfolg in den deutschen Kinos
Das erste Wunder ist wahrscheinlicher als das zweite, denn die Kinosituation in Deutschland für einen Thome-Film ist ziemlich hoffnungslos.
Aber vielleicht ist Wunder Nr. 3 ein weiterer Film "in Zusammenarbeit mit ARD/Degeto"?
16.02.12   Susanna Cardelli (von "ROT UND BLAU" bis "PINK" hat sie bei mir die Ausstattung gemacht) kommt am Morgen zu einem zweiten Frühstück. Wir haben uns viel zu erzählen. Kurz vor 12 Uhr kommen zwei Schornsteinfeger, um die Abgaswerte meiner Gasetagenheizung zu messen. Ich fasse sie ausgiebig an, damit sie mir Glück bringen. Dann muss ich zum Bauernhof, denn das Abwasserrohr meiner Mieterin ist noch immer nicht eisfrei.

Jetzt bin ich da und das Rohr ist eisfrei.
In der Nacht hatte ich einen seltsamen Traum. Ich war im Internat, hatte schon sechshunderttausend Euro von Filmförderungsinstitutionen für meinen neuen Film und wollte von der Internatschefin, so wie bisher, weitere fünfhundertausend Euro. Während ich sie zu überzeugen versuchte, mir das Geld zu geben, bin ich leider aufgewacht. Die Degeto hatte sich im Traum in mein Internat verwandelt.
17.02.12   Heute Nacht hat es geregnet. Der Schnee von gestern ist fast weg. Überall im Hof stehen jetzt Wasserpfützen, denn der Boden ist tiefgefroren.
Um 11 Uhr, im Fernsehen, erklärt Christian Wulff, dass er zurücktritt.
18.02.12  

Meine Freundin in Kairo geht schwimmen. Ich gehe Fahrradfahren. Bei strahlender Sonne. Zum ersten Mal in diesem Monat. 10 Kilometer. Auf dem Rückweg laufen 3 Rehe über den Fahrradweg in Richtung Wald. Ein gutes Zeichen! Zwei bleiben auf dem Fahrradweg stehen und schauen mich neugierig an. Ich denke: wenn ich bloß meinen Fotoapparat mitgenommen hätte! Zuhause merke ich, dass ich ihn dabei hatte. Alzheimer?
Dann teste ich die Wirkung des "INS BLAUE"-Plakats in der Außenwelt.

Im Schatten.

In der Sonne an meinem über 100 Jahre alten Walnussbaum (in dem Cornelius Schwalm für Hannah Herzsprung bei "PINK" Ostereier versteckt hat).

Ein weiterer Hauptast ist vom Sturm abgerissen worden. Bald wird nicht mehr viel von ihm übrig sein. Ich identifiziere mich mit diesem Walnussbaum. Ob ich will oder nicht.

19.02.12  

Was mir in diesen Tagen des durch die Berlinale erzwungenen Wartens auf die letzte Degeto-Rate geholfen hat, ist dieses Buch:

Am Anfang eine tolle Science Fiction-Zeitreise-Idee, dann ein Krimi und dann eine hinreissende Liebesgeschichte, die am Ende wieder zum Krimi wird. Jetzt bin ich durch die tausend Seiten durch und muss nur nochmal einen Tag, der hoffentlich gut endet, warten.
Ich warte in den Nachrichten darauf, dass Angela Merkel endlich wieder einen neuen Bundespräsidenten vorschlägt und sehe stattdessen immer wieder die Berlinale-Preisverleihung. Das Beste daran ist, dass Christian Petzold vor eintausendsechshundert Ehrengästen "Scheiße" sagt. Nicht weil er nicht den goldenen, sondern nur den silbernen Bären gekriegt hat - was mehr oder weniger sämtliche Kritiker erwartet hatten. Er bestimmt auch. Er hat vergessen, dass er bei seiner Dankesrede Englisch reden muss. Hat er das wirklich? Wenn nicht, wäre sein "Scheiße" richtig cool.

20.02.12   Gauck wird Bundespräsident. Wenn er 10 Jahre durchhält, bin ich 83. Damit ich durchhalte, steige ich bei minus 1 Grad aufs Fahrrad und fahre 10 Kilometer.

Mein Fahrradweg. Weit und breit kein Reh, nur ab und zu Raubvögel, die auf Beute warten. Ich bin keine, denn sie fliegen weg, wenn ich näher komme. -
Heute nachmittag, denke ich, hätte ich heute morgen mindestens 7 Rehe gebraucht, damit der Tag für mich gut ausgeht.
Ein Degeto-Mitarbeiter teilt mir gerade mit, dass nicht heute, sondern erst morgen über die Auszahlung der letzten Rate für "INS BLAUE" entschieden wird. Ich bitte alle Leute, die auf Geld von mir warten, weiterhin um Geduld. Ich muss das hier jetzt mal ganz offen sagen. Auch das gehört zum Filmemachen.
Sollte ich vorher tot umfallen (heute morgen fühlte sich mein Kopf ein bisschen schummerig an, auf jeden Fall anders als sonst, und ich denke, wenn sich an und in meinem Körper etwas verändert, immer gleich an das Schlimmste), muss meine Tochter Joya das Bezahlen meiner Schulden übernehmen. Aber noch lebe ich. Mein ganzer Grundoptimimus ist zwar schon lange verschwunden, aber ich habe in den letzten 50 Jahren schon schlimmere Situationen erlebt. Ich will endlich wieder richtig normal weiterleben und mich nicht mehr mit Dingen beschäftigen müssen, die schon lange vorbei sind. Ich bin kein Mörder, der darauf warten muss, dass irgendwann sein Mord entdeckt wird.
Gerade kommt eine email von meiner Tochter Joya. Sie wird, wie schon bei "DAS ROTE ZIMMER" eine facebook-Seite für "INS BLAUE" einrichten und erlaubt mir, das Plakat für ihren Kurzfilm "Geschwister" auf mein Blog zu stellen. Ihr dritter Kurzfilm hat am 25. 2. um 16.00 Uhr Teampremiere in der DFFB.

21.02.12   Die Berliner Zeitung schreibt in ihrem Rückblick auf die Berlinale 2012 (LINK): "Mit dieser Berlinale ist Dieter Kosslick unsterblich geworden!"---
Nachmittags: Draußen hat es gut zwei Stunden stark geschneit. Hier zum ersten Mal so richtig in diesem Winter: Ich kann nicht Fahrradfahren. Ich lese das Buch von Wael Ghonim über die ägyptische Revolution.



Mit einem Bein bin ich ohnehin schon in Kairo. Ich weiß gar nicht mehr, ob ich mich freuen kann, wenn heute - irgendwann - die Degeto anruft und sagt, dass sie das Geld, das mir zusteht und auf das ich seit fast eineinhalb Monaten warte, überweist.
Ulli Lommel hat am ersten Drehtag von "DETEKTIVE" zu mir gesagt: Ich glaube immer erst daran, dass ein Film gedreht wird, wenn ich vor der Kamera stehe." Mir ist es immer so mit Geldzahlungen gegangen. Ich muss sie schwarz auf weiß auf meinem Konto sehen.
Um mich zu trösten, schickt mir meine Freundin diese tollen Graffitti-Bilder von heute aus Kairo:





















22.02.12  
Der Schnee von gestern. Heute ist er wieder weg.
Ich fahre heute viel weiter als sonst mit dem Fahrrad. 14 Kilometer, weil 14 meine Glückszahl ist und weil die Sonne scheint. Zwar tut mein Popo weh danach, aber was tut man nicht alles, um Glück zu haben. Ich muss etliche 10 Zentimeter tiefe Riesenpfützen durchfahren, denn der Schnee von gestern ist geschmolzen, aber das Wasser kann nicht in der Erde versickern, weil die noch immer gefroren ist.
23.02.12  

Das 14 km-Fahrradfahren hat mir Glück gebracht. In Zukunft werde ich wieder, wie früher, den Drehbeginn eines neuen Films auf den 14. oder 7. legen und nicht, wie bei "INS BLAUE" auf einen 8. - das hatte ich im letzten Jahr wegen eines Schauspielers gemacht, den ich unbedingt dabei haben wollte. Ich bin und bleibe abergläubig.

Jetzt wünsche ich mir, dass es Frühling wird und stelle schon mal meine Oleandersträucher in den Innenhof, damit sie sich möglichst bald vom Aufenthalt in ihrem Winterquartier erholen.

Dann kommt mein Sohn Nicolai…

24.02.12   …und viele Dinge werden erledigt, die ich alleine nicht mehr geschafft habe.

Überall in der Wohnung sind Speisemotten herumgeflogen. Ich habe sie für Kleidermotten gehalten. Nicolais Freundin Ina kennt sich mit diesen Tieren aus und entdeckt im Vorratsschrank jede Menge davon. Ich räume mit ihr den Schrank einmal gründlich auf. Fast überall finden wir Larven der Tiere.

Die Hecke im Garten ist inzwischen von Nicolai abgeschnitten worden.

Auch uralte Wasserrohre im ehemaligen Pferdestall werden von Nicolai mit einer Flex abgeschnitten.

Was für ein Tag! Ich bin glücklich über diesen wunderbaren Sohn und seine tolle Freundin.
25.02.12  


Als es dunkel wurde gestern haben Nicolai und Ina all die abgeschnittenen Triebe der Ligusterhecke verbrannt.
Gegen Mittag sind wir zurück nach Berlin gefahren zur Teampremiere des dritten Kurzfilms meiner Tochter Joya "Geschwister" in der dffb.

Da treffe ich all die jungen Mädchen, mit denen Joya aufgewachsen ist, deren Namen und Gesichter mir immer noch vertraut sind. Und die auch mich so vertraut begrüßen, als hätte ich sie zum letzten Mal vor einer Woche gesehen. Sowas erlebt man nicht alle Tage! Und dann auch viele Mitglieder meiner Filmteams der letzten Jahre.

Auf dem Weg nach Hause zeige ich Nicolai und Ina das Fabrikgebäude in der Dessauer Str. 6-7, in der ich mit Cynthia Beatt 2 oder 3 Jahre gewohnt habe, und wo wir 1975 "TAGEBUCH", und 1994 ein paar Szenen von "DAS GEHEIMNIS" gedreht haben. Da wo damals eine Kunststofffabrik war, ist jetzt eine Galerie. Sie gehört Johann König. Er ist der Sohn von Edda Köchl und Kaspar König. Edda Köchl hat in "BESCHEIBUNG EINER INSEL", in "SYSTEM OHNE SCHATTEN" und zuletzt in "DAS ROTE ZIMMER" bei mir gespielt. Kaspar König hatte ich 1985 in Köln kennengelernt und wollte ihn für die Hauptrolle in "TAROT" haben. Er wollte auch, aber das ZDF, das den Film koproduziert hat, war dagegen. Obwohl er als Veranstalter von "Westkunst" schon damals berühmt, also eine Art Star war. Ein Laie kann vielleicht nicht spielen, sagte Willi Segler, der Redakteur. Kaspar König bewegte sich bei allem, was er machte, in meinen Augen wie ein Tiger. Da die Art, wie einer geht, für mich wichtiger ist als wie einer spielt, war das für mich die optimale Besetzung. Vielleicht wäre ein zweiter Marquard Bohm und vielleicht noch mehr, eine Mischung aus Jean-Paul Belmondo und Michel Piccoli daraus geworden. Und ich hätte noch viele Filme, so wie mit Marquard Bohm oder mit Hanns Zischler mit ihm gemacht.
Heute ist ein Tag, wo sich bei mir Vergangenheit und Gegenwart auf merkwüridige Weise verknüpfen. Mein Blog ist auch eine täglich geupdatete Autobiographie. Ich schwöre, dass ich keine in Buchform schreiben werde. Ich will keine Bücher schreiben, sondern nur Filme machen.
Da fällt mir ein, dass ein paar Freundinnen von Joya unbedingt "INS BLAUE" sehen wollten. Ich habe ihnen gesagt, dass der Film erst Ende August ins Kino kommt, aber vorher an Ostern im Münchner Filmmuseum gezeigt wird, und dass ich da über drei Filme von Hong Sang-soo reden muss und dass ich das eigentlich gar nicht kann. Ich könne nur sagen, dass ich, wenn ich bei seinen Filmen die ersten fünf oder sechs Szenen sehe, total glücklich bin. Die Mädchen sagten, mach das, mehr musst du nicht tun. Das hat mich erleichtert. Denn das ist im Augenblick die nächste große Aufgabe vor der ich stehe - nachdem alle Probleme mit der Degeto bei "INS BLAUE" gelöst sind. Auf das Filmfestival in Cannes muss ich sicher noch sehr viel länger warten und mache mir keine übergroße Hoffnungen.
26.02.12  


Ein Foto aus dem Buch "Life in Paradise", das erklärt, woran sich die Graffitti-Künstler in Kairo orientieren. Leider ist das momentane Ägypten alles andere als ein Paradies. Trotzdem fahre ich dahin, denn ich plane noch immer dort einen Film zu drehen.

Vor allem dieses Foto vom Februar 2010 zieht mich und auch Ute Freund (meine Kamerafrau von "RAUCHZEICHEN" bis "DAS ROTE ZIMMER") magisch an. Das nächste Drehbuch, das ich im Mai auf meinem Bauernhof schreiben will, wird allerdings noch nicht der Ägypten-Film werden, denn erstens ist es da nach der Revolution noch viel zu gefährlich und zweitens muss ich Geld verdienen, muss also etwas schreiben, was ich in Berlin drehen kann, damit die Reise- und Hotelkosten wegfallen.
27.02.12   Heute machen Gudrun Max und Karlheinz Oplustil mit mir das Interview für's Presseheft von "INS BLAUE". Wir testen das Hitec-Aufnahmegerät noch einmal, ob alles auch funktioniert. Es hat funktioniert und inzwischen ist die mp3-Datei bereits bei einem Transscriptions-Service.

Kurze Zeit später bersucht mich meine Tochter Joya und wir besprechen die Details für den Trailer von "INS BLAUE", den sie im März für mich schneiden wird.

Eine halbe Stunde später kommen Nicoletta Drossa (Produktionsleitung) und Patricia Lewandowska (Kameraassistenz) zu mir, und sie bekommen eine von mir vorbereitete Festplatte mit den Daten für das Making-of von "INS BLAUE", das die beiden gemeinsam während der Dreharbeiten gemacht haben und das dann auf der DVD, die bei Zweitausendeins erscheinen wird, zu sehen ist. Außerdem kriegen beide eine DVD des Films. Ich bin gespannt auf dieses erste richtige Making-of eines Films, das bei mir je gemacht wurde.

Ja, ja in den Gläsern, die auf dem Tisch stehen, ist Prosecco. Irgendwie ist unser Treffen ein Anlass zum Feiern, sagt Nicoletta und ich finde, dass sie recht hat. Patricia habe ich seit dem letzten Drehtag im Oktober nicht mehr gesehen, denn bei der Teampremiere konnte sie nicht dabei sein, weil sie in Serbien gedreht hat. Das obligatorische Foto zu unserem Treffen erträgt Nicoletta mit Gelassenheit.
Heute habe ich zum ersten Mal das Gefühl, dass doch noch alles gut wird mit "INS BLAUE". Vielleicht wird er tatsächlich nach Cannes eingeladen und vielleicht läuft da dann auch der neue Film von Hong Sang-soo "In Another Country", in dem Isabelle Huppert drei Rollen spielt - also eigentlich ein "Muss" für Cannes. Und vielleicht lernen wir uns beide dann auch mal persönlich kennen. Wenn er meinen Film nicht gesehen hat, kriegt er von mir eine DVD. Und dann bin ich gespannt, was er dazu sagt. Beeinflusst beim Drehen hat er mich auf jeden Fall. Ich denke, dass ich noch einen Schritt weiter gegangen bin als er.
28.02.12  


Nochmal ein Blick zurück.

29.02.12   An einem Tag, den es nur alle vier Jahre gibt, komme ich in Kairo an. Hier ist alles anders.

In Berlin haben Nicolai und Ina zum Flughafen gebracht. Der von der Gewerkschaft Verdi angekündigte Spontanstreik findet glücklicherweise nicht statt.

Am Flughafen in Kairo holen mich Laura und ihr Freund Mahdi ab.
   
   
     

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